Dr. Ernst J. Baumann ist einer der Experten bei BELFOR für die Sanierung von Wasser- und Feuchteschäden. Rhein, Oder, Elbe, Mosel: Mit über 20 Jahren Erfahrung hat er schon diverse Hochwassersituationen erlebt. Worauf Betroffene jetzt achten sollten, darüber haben wir mit ihm gesprochen.
Herr Dr. Baumann, warum ist Zeit ein kritischer Faktor in der Handhabung von Hochwasserschäden?
Für jede Art von Wasserschaden gilt der Grundsatz des schnellen Handelns, um den Schadenumfang so gering wie möglich zu halten und Folgeschäden zu vermeiden. Versicherungsnehmer sind in der Regle sogar vertraglich verpflichtet, den eingetretenen Schaden durch eine aktive Schadenminderung im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst zu minimieren. Wie bei jeder Art von Wasserschaden gilt: Je schneller das Richtige getan wird, desto besser. Erste Tipps zum richtigen Aufräumen nach der Flut haben wir hier zusammengestellt.
Was ist bei einer Flut anders als bei einem normalen Wasserschaden?
Bei einem Überschwemmungsschaden ist vieles anders: Je nach Art der Überschwemmung ergeben sich dabei sehr unterschiedliche Schadenbilder. Langsam ansteigende Wasserpegel wirken anders auf Gebäude als schnell auftretende Sturzbäche oder reißende Fluten. Das haben die aktuellen Ereignisse uns dramatisch vor Augen geführt. Immer aber haben Immobilien großflächig im Wasser gestanden. In jedem Fall sollte durch eine Überprüfung der Gebäudestatik sichergestellt sein, dass im und am Gebäude sicher gearbeitet werden kann.
Das Wasser ist biologisch stark kontaminiert. Chemikalien, Heizöl und andere Schadstoffe belasten das Wasser zusätzlich. Und das Wasser kommt in der Regel auch mit einem hohen Feststoffanteil in Form von Schlamm, Dreck und Treibgut.
Einfaches Wasser lässt sich leicht bekämpfen. Vollgelaufene Keller sind dabei noch das geringste Übel. Dreck und Schlamm sind dagegen nur schwer in den Griff zu bekommen. Deshalb werden Schadensbereiche meist recht großzügig entkernt. Wenn das gesamte Erdgeschoß betroffen ist oder sogar das gesamte Gebäude in den Fluten versinkt, ergeben sich Probleme im Maßstab XXL.
Sind dann eine Trocknung und anschließende Sanierung überhaupt noch angebracht?
Ob die Trocknung und anschließende Sanierung überhaupt noch wirtschaftlich Sinn machen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es kommt darauf an, um welche Art von Wasser es sich handelt und wie stark es kontaminiert war. Normalerweise können wir bei einem Wasserschaden zwischen Frischwasser, Brauchwasser, Fäkalwasser, Grundwasser und Flusswasser unterscheiden. Beim Überschwemmungsschaden ist es ein nur schwer zu differenzierendes Gemisch. Und natürlich ist auch die Dauer zu berücksichtigen: Je länger das Wasser steht, desto mehr Zeit hat es, die Gebäudesubstanz anzugreifen.
Bei einem großflächigen Hochwasser mit vielen betroffenen Haushalten herrscht meistens auch ein Mangel an ausreichend Geräten zur Trocknung, und Strom.
Ab wann kann getrocknet werden?
Sobald das Gebäude betreten werden kann, also keine statischen Probleme an der Gebäudekonstruktion aufgetreten sind. Vor der Trocknung ist unbedingt zu prüfen, ob es Kontaminationen gibt. Wird getrocknet, obwohl das Mauerwerk mikrobiell oder mit anderen Schadstoffen belastet ist, gefährdet das unter Umständen massiv die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Kompetente Fachfrauen und Fachmänner ermöglichen mit einer Schadensbegutachtung die Entscheidung, ob eine technische Trocknung überhaupt erforderlich ist.
Warum braucht es eine Schadensbegutachtung überhaupt?
Eine individuelle Schadensbegutachtung ist allein schon deshalb erforderlich, weil kein Schaden wie der Andere ist. Dazu sind Gebäudearten, -formen und -konstruktionen zu vielfältig. Im Rahmen der Schadenaufnahme werden die erforderlichen Arbeiten zur Wiederherstellung und Instandsetzung festgelegt. Sie regelt also nach Umfang und Reihenfolge die Anzahl und Art der Gewerke und gibt Auskunft über die erwartete Schadenhöhe. Bei Überschwemmungsschäden sollte die Schadenaufnahme sinnvollerweise auch eine Gefährdungs- und Schadstoffbeurteilung miteinschließen und nur durch sachkundige Personen durchgeführt werden.
Was sind erste Maßnahmen auf dem Weg zur technischen Trocknung?
In den betroffenen Bereichen sind Schutt und Schlamm zu entfernen. Nicht mehr verwertbares Material muss einer ordnungsgemäßen Entsorgung zugeführt werden. Noch verwertbares Inventar ist zu bergen und sollte in einem witterungsgeschützten Lagerbereich sofort getrocknet werden. Selbst bei Lagerung im Freien kann durch die Verwendung eines Folienzeltes die Trocknung durchgeführt werden.
Sofern noch kein sichtbarer mikrobakterieller Befall entstanden ist, werden Trocknungsgeräte als Soforthilfe eingesetzt. Damit beugt man zusätzlichen Schäden vor. Die Veränderung des Raumklimas verhindert, dass mikrobielle Probleme erst entstehen. Hierzu sind Kondenstrockner und Ventilatoren gut einsetzbar.
Was kommt nach den ersten Maßnahmen?
Nun sollte möglichst schnell entschieden werden, was an Konstruktionsteilen entfernt werden muss und was letztendlich in der Immobilie verbleiben soll. Das entscheidet auch darüber, wie lange die technische Trocknung dauert. Vor Beginn einer Trocknungsmaßnahme sollten auch die versteckten Flächen wie Hohlräume, Kriechkeller, Schächte etc. gründlich vom freien Wasser befreit werden. Alles was direkt abgesaugt werden kann, muss nicht durch den aufwändigeren Trocknungsprozess entfernt werden.
Bevor die Trocknungsgeräte surren, werden nicht betroffene Bereiche wie Obergeschosse durch Abschottungen vom Schadensbereich klimatisch getrennt.
Die eigene Heizung reicht in der Regel nicht aus, um eine technische Trocknung durchzuführen. Zumal in den betroffenen Gebäuden die Heizungen oftmals über einen längeren Zeitraum nicht betrieben werden können.
Welchen Einfluss hat das Wetter auf die Trocknung?
Solange die Konstruktion und vorhandenes Inventar frostfrei gehalten werden, besteht nur ein Problem durch die hohe Luftfeuchtigkeit und die Gefahr von Schimmelbildung.
Neben der natürlichen Trocknung durch öffnen von Türen und Fenstern können Trocknungsgeräte, durch das gezielte Absenken der relativen Feuchte in der Raumluft, drohende Schäden in diesen Bereichen selbst über Wochen vermeiden.
Bei niedrigen Außentemperaturen ist allerdings für diesen Zweck der Einsatz von Adsorptionstrocknern der Verwendung von Kondenstrocknern eindeutig vorzuziehen bzw. sogar erforderlich.
Welche Rolle spielt die Bauart des Gebäudes für die Trocknung?
Die Trocknungsmöglichkeiten hängen insbesondere von der Gebäudekonstruktion und den verwendeten Materialien ab. Natursteinwände oder Ziegelwände lassen sich problemlos trocknen. Lehm- und damit auch Fachwerkkonstruktionen stellen eine größere Herausforderung dar. Fertighäuser und Trockenbaukonstruktionen sind hier besonders problematisch.
Neben der Raum- und Hohlraumtrocknung ist bei schwimmendem Estrich und Holzbalkendecken eine entsprechende Trocknung durch Kondenstrockner und Turbinen erforderlich. Hier sollte darauf geachtet werden, dass die Trocknungen im Saugverfahren mit entsprechenden Filteranlagen durchgeführt werden.
Vielfach ist die Desinfektion der Randfugen erforderlich bzw. die Desinfektion der gesamten Dämmschicht empfehlenswert.
Wie lange dauert eine Trocknung?
Trocknungsmaßnahmen nach Überflutungsschäden dauern insbesondere durch die stärker durchfeuchteten Wandkonstruktionen deutlich länger als Trocknungen nach Standardschäden.
Bedenken Sie aber, dass die technische Trocknung lediglich eine Beschleunigung und Unterstützung der natürlichen Trocknung ist. Der Grundsatz „Viel hilft viel!“ gilt daher nur bedingt. Die aufgebauten Anlagen müssen fachmännisch dimensioniert sein.
Es können auch Schäden an Konstruktionen entstehen, wenn die Trocknung zu intensiv ist bzw. das Gebäude untertrocknet wird. Unnötige Standzeiten und mangelhafte Überwachung des Trocknungsprozesses verschwenden nicht nur Energie, sondern sie verzögern auch den erforderlichen Wiederaufbau. Andererseits gefährden zu früh abgebaute Trocknungsanlagen den Trocknungserfolg. Dadurch kann es nachträglich bei bereits durchgeführten Wiederherstellungsarbeiten zu Folgeschädigungen kommen. Dann geht es mit den Sanierungsaufwendungen wieder von vorne los.
Was raten Sie den Betroffenen vor Ort, die eine Trocknung selbst durchführen?
In jedem Fall sollten Sie auch bei selbst durchgeführten Trocknungsmaßnahmen durch Leihgeräte den Trocknungserfolg durch einen Fachmann beurteilen lassen. Das schützt vor unangenehmen Überraschungen. Gerade weil bei der technischen Trocknung so viele Aspekte berücksichtigt werden müssen, sind Hochwasserschäden immer eine Aufgabe für den Fachmann. Leider sind große Hochwasserkatastrophen zunehmend auch Hochzeiten für „Dünnbrettbohrer“ oder schwarze Schafe.
Obwohl kein anerkannter Ausbildungsberuf, erfordert die Arbeit als Trocknungstechniker ein vielseitiges und spezielles Fachwissen. Kann man mit diesem Fachwissen Geschädigten nicht aus der Ferne helfen?
Das ist nur in den wenigsten Fällen möglich. Wir werden immer wieder um eine „Ferndiagnose“ gebeten. Als Profis wissen wir, dass eine fachlich maßgeschneiderte Trocknungs- und Sanierungsmaßnahme ohne individuelle, detaillierte Schadensbesichtigung vor Ort nicht machbar ist. Die Kluft zwischen allgemeinen Ratschlägen und Realsituation am Schadensort ist einfach zu groß.
Herr Dr. Baumann, vielen Dank für das Gespräch.
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